Manchmal sind es gerade die Dinge, die wir nicht sehen können, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. Als Umwelttoxikologe stoße ich immer wieder auf ein faszinierendes, wenn auch beunruhigendes Phänomen: Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe, kurz PAKs. Diese Stoffgruppe begleitet die Menschheit seit dem ersten Lagerfeuer, doch erst in den letzten Jahrzehnten haben wir begonnen, ihre komplexen Auswirkungen auf unsere Gesundheit vollständig zu verstehen.
Die molekularen Schattenbilder: Was sind PAKs?
PAKs sind wie molekulare Kunstwerke – eine Familie von über 100 verschiedenen Verbindungen, die aus miteinander verschmolzenen Kohlenstoffringen bestehen. Stellen Sie sich Benzolringe vor, die wie Honigwaben aneinandergereiht sind. Diese eleganten Strukturen entstehen immer dann, wenn organisches Material – sei es Holz, Kohle oder Öl – unvollständig verbrennt.
Die bekanntesten Vertreter dieser chemischen Familie zeigen die Vielfalt dieser Verbindungen:
- Naphthalin (2 Ringe): Der flüchtigste PAK, bekannt aus alten Mottenkugeln, mit seinem charakteristischen Geruch
- Phenanthren (3 Ringe): Häufig in Umweltproben nachweisbar, mit moderater Toxizität
- Benzo[a]pyren (5 Ringe): Die wissenschaftliche Leitsubstanz, hochgradig krebserregend
- Dibenzo[a,l]pyren (6 Ringe): Ein wahrer «Superschadstoff» – etwa 100-mal potenter als sein berühmterer Verwandter Benzo[a]pyren
Was diese Moleküle so problematisch macht: Sie sind äußerst stabil, lösen sich gut in Fett (sind also «lipophil») und reichern sich im Körper an. Denken Sie an sie wie an molekulare Vagabunden – einmal entstanden, bleiben sie hartnäckig in unserer Umwelt.
Die unsichtbaren Begleiter im Alltag
PAKs sind wahre Meister der Tarnung. Sie begegnen uns täglich, ohne dass wir sie bemerken:
In der Luft, die wir atmen
Wenn Sie in einer Großstadt leben, atmen Sie mit jedem Atemzug eine kleine Menge PAKs ein. Die Stadtluft enthält typischerweise 0,1-10 Nanogramm Benzo[a]pyren pro Kubikmeter – das klingt wenig, summiert sich aber über Jahre. Zum Vergleich: Die ländliche Luft enthält meist nur ein Zehntel dieser Menge (0,01-0,1 ng/m³).
Die Hauptquellen sind:
- Dieselabgase (besonders alte Fahrzeuge ohne Partikelfilter)
- Industrieemissionen
- Holzöfen und Kamine im Wohngebiet
- Tabakrauch (ein einziger Zigarettenzug enthält Tausende PAK-Moleküle)
In Gebäuden und Materialien
Ein besonders tückisches Erbe früherer Generationen: Zwischen den 1950er und 1980er Jahren wurden zahlreiche Baumaterialien mit Steinkohlenteer versetzt, der extrem hohe PAK-Konzentrationen enthält:
- Teerhaltige Parkettkleber können bis zu 50.000 mg/kg PAK enthalten
- Dachpappen und Bitumenabdichtungen
- Teerhaltige Anstriche
Wie mir ein Kollege aus der Altbausanierung berichtete: «Wir haben bei einem Gründerzeithaus in Wien Parkettkleber mit PAK-Gehalten gefunden, die heute selbst als Sondermüll gelten würden – und die Familie lebte 30 Jahre darauf.»
In unserer Nahrung
Wer liebt nicht den Duft von gegrilltem Fleisch? Doch genau in den appetitlich schwarzen Grillstreifen stecken PAKs. Je nach Garmethode können 0,5-5 Mikrogramm Benzo[a]pyren pro Kilogramm Fleisch entstehen. Auch geräucherte Produkte, stark angebratene Speisen und sogar manche pflanzliche Öle können relevante Mengen enthalten.
Im Körper: Wenn molekulare Eindringlinge aktiv werden
Was passiert, wenn PAKs in unseren Körper gelangen? Die Antwort ist komplex und faszinierend zugleich.
Der Verwandlungstrick: Vom harmlosen Molekül zum DNA-Angreifer
PAKs selbst sind überraschenderweise oft biologisch inaktiv. Der Körper versucht jedoch, sie loszuwerden – und genau dabei entsteht das Problem. Unsere Leber, mit ihrem Arsenal an Entgiftungsenzymen (besonders Cytochrom P450), verwandelt PAKs in wasserlösliche Metaboliten. Doch bei diesem Prozess entstehen hochreaktive Zwischenprodukte – sogenannte Epoxide.
Diese Epoxide sind die eigentlichen Übeltäter. Sie binden an die DNA und bilden sogenannte «DNA-Addukte» – eine Art molekulare Narbe, die den genetischen Code verändert. Stellen Sie sich vor, wie ein Schlüssel (die DNA) durch einen Kratzer beschädigt wird – er passt nicht mehr perfekt ins Schloss. Ähnlich verfälschen diese Addukte die genetische Information, was zu Mutationen führen kann.
Die gesundheitlichen Folgen
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu PAKs sind alarmierend:
Krebsrisiko: Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) klassifiziert mehrere PAKs – allen voran Benzo[a]pyren – als gesicherte Karzinogene (Gruppe 1). Eine Meta-Analyse von Armstrong et al. (2004) zeigte ein um 20% erhöhtes Lungenkrebsrisiko bei beruflicher Exposition von 100 ng/m³ Benzo[a]pyren. Besonders betroffen: Schornsteinfeger, Koksofenarbeiter und Asphaltierer.
Atemwegserkrankungen: PAK-haltiger Feinstaub reizt die Atemwege und kann zu Entzündungsreaktionen führen. Kinder in stark belasteten Gebieten leiden häufiger an Asthma und wiederkehrenden Atemwegsinfekten.
Entwicklungsstörungen: Neuere Studien zeigen beunruhigende Zusammenhänge zwischen pränataler PAK-Exposition und niedrigerem Geburtsgewicht sowie verzögerter kognitiver Entwicklung.
Immunsystem: PAKs können das Immunsystem schwächen, was die Anfälligkeit für Infektionen erhöht.
Neurotoxizität: Die Forschung hat begonnen, Zusammenhänge zwischen PAK-Exposition und neurodegenerativen Erkrankungen zu untersuchen – ein spannendes, aber beunruhigendes neues Forschungsfeld.
Besonders problematisch: PAKs wirken synergistisch mit anderen Umweltschadstoffen. In Kombination mit Feinstaub verstärken sie sich gegenseitig – ein Phänomen, das wir in der Toxikologie als «Cocktaileffekt» bezeichnen.
Die Spurensuche: Wie erkennt man eine PAK-Belastung?
Anders als bei Radon oder Asbest gibt es bei PAKs einige Hinweise, die auch Laien erkennen können:
Sichtbare und riechbare Anzeichen
- Schwarze, teerartige Substanzen unter altem Parkett oder in Dachpappe – oft mit typischem Teergeruch
- Naphthalingeruch in alten Schränken oder Kellern (mottenkugelartig)
- Rußablagerungen in der Nähe von Kaminen, Öfen oder an stark befahrenen Straßen
Verdächtige Materialien und Situationen
- Altbauten mit Parkettböden aus den 1950er-1980er Jahren
- Alte Spielplätze mit schwarzem, teerartigem Belag
- Intensive Grillgewohnheiten oder regelmäßiger Konsum stark geräucherter Speisen
- Wohnen an stark befahrenen Straßen mit hohem Lkw-Anteil
In meiner Beratungspraxis empfehle ich bei Verdacht stets eine professionelle Analyse. Materialproben können mit chromatografischen Verfahren (GC-MS) auf PAKs untersucht werden. Auch Hausstaubanalysen geben Aufschluss über die Belastung im Wohnraum.
Eine moderne Entwicklung: Die Exposition eines Menschen kann durch Messung von PAK-Metaboliten im Urin bestimmt werden – ein wertvoller Biomarker, besonders bei beruflicher Exposition.
Grenzwerte und Richtwerte: Was ist «sicher»?
Die Einschätzung eines «sicheren» PAK-Wertes ist wissenschaftlich herausfordernd. Da viele PAKs genotoxische Karzinogene sind, gibt es theoretisch keine sichere Schwellendosis – jedes Molekül könnte potenziell eine DNA-Schädigung auslösen. Die praktische Regulierung geht dennoch von Leitwerten aus:
Luft
- WHO-Leitwert für Benzo[a]pyren in der Luft: 0,12 ng/m³
- Schweiz: Grenzwert für BaP in der Außenluft: 1 ng/m³ (Jahresmittel)
- Österreich: Richtwert für PAK in Innenraumluft: <10 ng/m³ (Summe)
Materialien und Produkte
- EU-REACH-Verordnung: maximal 1 mg/kg für 8 krebserregende PAKs in Verbraucherprodukten
- Deutschland: PAK-haltige Materialien mit >50 mg/kg gelten als überwachungsbedürftiger Abfall
Lebensmittel und Wasser
- Deutschland: Trinkwasser-Grenzwert für BaP: 0,01 µg/L
- EU-Verordnung für Lebensmittel: zwischen 1-10 µg/kg BaP je nach Lebensmittelkategorie
Diese Werte sind Kompromisse zwischen dem theoretischen Nullrisiko und der praktischen Umsetzbarkeit. Die Behörden im DACH-Raum verfolgen das ALARA-Prinzip: «As Low As Reasonably Achievable» – so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar.
Strategien für den Alltag: Die persönliche PAK-Exposition reduzieren
Die gute Nachricht: Wir können unsere persönliche PAK-Belastung durch einfache Maßnahmen deutlich reduzieren.
In der Wohnung
Bei Altbauten:
- Vor Renovierungen alte Parkettböden und Kleber auf PAKs untersuchen lassen
- PAK-haltige Materialien nur von Fachfirmen entfernen lassen – niemals selbst schleifen oder fräsen!
- Nach der Sanierung Staub gründlich entfernen (PAKs binden an Hausstaub)
Für die Raumluft:
- Regelmäßig lüften, besonders in der Nähe stark befahrener Straßen
- Hochwertige Luftfilteranlagen mit HEPA- und Aktivkohlefiltern können bis zu 95% der partikelgebundenen PAKs entfernen
- Kerzen und Räucherstäbchen in Maßen verwenden – auch sie setzen PAKs frei
Beim Kochen und Essen
Grillvergnügen mit Verstand:
- Fleisch nicht direkt über der Flamme grillen – Abtropfen von Fett in die Glut vermeiden
- Marinaden verwenden! Wissenschaftliche Studien zeigen: Marinaden mit Olivenöl, Knoblauch und Kräutern können die PAK-Bildung um 40-70% reduzieren
- Verkohlte Stellen entfernen – dort sitzen die höchsten PAK-Konzentrationen
Generell beim Kochen:
- Starkes Anbraten vermeiden
- Bei der Zubereitung gut lüften
- Abwechslungsreich essen – nicht täglich geräucherte oder gegrillte Produkte
Draußen unterwegs
Luftqualität verbessern:
- Hauptverkehrszeiten meiden, wenn möglich
- Beim Sport größere Grünflächen bevorzugen
- Nach Spielplatzbesuchen auf alten, teerhaltigen Belägen Kinderhände waschen
Raucherumgebung:
- Nicht in Innenräumen rauchen – auch nicht am offenen Fenster
- Nach Rauchexposition Kleidung wechseln (Rauchpartikel mit PAKs setzen sich ab)
Sanierungsfälle: Wenn es ernst wird
Bei nachgewiesener PAK-Belastung in Wohnräumen ist fachgerechtes Handeln gefragt. Ein Beispiel aus meiner Beratungspraxis:
In einer Altbauwohnung in München fanden wir unter dem Parkett einen schwarzen Kleber mit alarmierenden 35.000 mg/kg PAK – ein extremer Wert. Eine junge Familie mit Kleinkind lebte dort. Die Raumluftmessung zeigte erhöhte Naphthalin-Werte durch Ausgasungen.
Der Sanierungsansatz:
- Temporärer Auszug der Familie
- Fachgerechter Ausbau des gesamten Bodens durch Spezialfirma mit Unterdruck und Schutzkleidung
- Feinstaubiger Baustaub wurde mit speziellen Industriesaugern (HEPA-Filter) entfernt
- Raumluft wurde nach Abschluss der Arbeiten auf PAKs kontrolliert
- Einbau eines neuen, schadstoffgeprüften Bodens
Die Kosten lagen bei etwa 180 €/m², wurden aber teilweise durch ein regionales Förderprogramm für Schadstoffsanierung gedeckt. Nach der Sanierung waren keine PAKs mehr in der Raumluft nachweisbar.
Der Blick nach vorn: PAKs in unserer Zukunft
Trotz strenger Regelungen werden PAKs auch in Zukunft Teil unserer Umwelt bleiben. Neue Forschungsfelder zeichnen sich ab:
Epigenetische Effekte: PAKs können DNA-Methylierungsmuster verändern und so die Genaktivität beeinflussen – möglicherweise über Generationen hinweg.
Mikrobiom-Interaktion: Erste Studien zeigen, dass PAKs unser Darmmikrobiom beeinflussen können, was wiederum systemische Auswirkungen haben könnte.
Biomarker-Entwicklung: Die Forschung arbeitet an besseren Nachweismethoden für die individuelle PAK-Belastung, um Risikogruppen früher identifizieren zu können.
Die gute Nachricht ist: Die technologischen Fortschritte bei Filteranlagen, schadstoffarmen Verbrennungsprozessen und sensitiveren Nachweisverfahren helfen uns, die PAK-Belastung kontinuierlich zu reduzieren. In Deutschland sind die PAK-Werte in der Umgebungsluft seit den 1990er Jahren um etwa 90% gesunken – ein bemerkenswerter Erfolg.
Fazit: Ein ausgewogener Umgang mit einem alltäglichen Risiko
PAKs sind ein faszinierendes Beispiel für die komplexe Beziehung zwischen unserer modernen Lebensweise und subtilen gesundheitlichen Risiken. Sie zeigen, dass selbst unsichtbare Moleküle bedeutende Auswirkungen haben können.
Der richtige Umgang mit PAKs erfordert weder Panik noch Gleichgültigkeit, sondern ein informiertes Bewusstsein. Mit den vorgestellten Strategien können Sie Ihre persönliche Exposition deutlich reduzieren, ohne auf Lebensqualität zu verzichten.
Meine Empfehlung als Umwelttoxikologe: Bleiben Sie wachsam, besonders bei Altbaurenovierungen und intensivem Grillen. Genießen Sie aber auch die Gewissheit, dass wir durch gezielte Maßnahmen die PAK-Belastung kontinuierlich reduzieren können. Die richtige Balance zwischen Vorsicht und Gelassenheit ist, wie so oft, der klügste Weg.
Hinweis: Dieser Artikel ersetzt keine individuelle Beratung. Bei konkretem Verdacht auf PAK-Belastung wenden Sie sich bitte an Fachleute für Innenraumschadstoffe oder Umweltmediziner.