+43 720 732 583 info@ungiftig.com

Es gibt Stoffe in unserer gebauten Umwelt, die wie stille Zeitkapseln aus einer anderen Ära wirken. Asbest ist ein solcher Stoff – einst als «Wundermaterial» gefeiert, heute als gefährliches Relikt erkannt. In meiner Arbeit als Bausachverständiger begegne ich diesem faserigen Mineral regelmäßig, und die Geschichte, die es erzählt, ist gleichermaßen faszinierend wie mahnend.

Das Janusgesicht eines Minerals

Asbest ist keine künstlich erschaffene Substanz, sondern ein Geschenk der Natur – allerdings eines mit Tücken. Es handelt sich um eine Gruppe natürlich vorkommender Silikat-Minerale mit einer bemerkenswerten Eigenschaft: Sie bilden feine, längliche Fasern, die sich aufspalten lassen, bis sie nur noch wenige Mikrometer dünn sind – feiner als ein menschliches Haar.

Diese mikroskopisch kleinen Fasern verleihen Asbest seine außergewöhnlichen Eigenschaften: extreme Hitzebeständigkeit (bis über 1000°C), chemische Resistenz gegen Säuren und Laugen, hohe Zugfestigkeit und ausgezeichnete Isoliereigenschaften. Kein Wunder, dass die Industrie dieses Material entdeckte und in über 3.000 verschiedenen Produkten einsetzte.

Die wichtigsten Asbestarten, die in Gebäuden vorkommen, unterscheiden sich in ihrer Struktur und auch in ihren gesundheitlichen Risiken:

  • Chrysotil (Weißasbest): Mit seinen gewundenen, flexiblen Fasern macht er 90-95% aller Asbestverwendungen aus. Findet sich typischerweise in Asbestzementprodukten wie Eternitplatten.

  • Krokydolith (Blauasbest): Seine nadelförmigen, besonders dünnen Fasern gelten als die gefährlichsten. Wurde vorwiegend in Spritzasbest und Hochtemperaturisolierungen verwendet.

  • Amosit (Braunasbest): Bildet gerade, relativ spröde Fasern und kam häufig in Brandschutzplatten und Isoliermaterialien zum Einsatz.

Der unsichtbare Feind in der Lunge

Was Asbest so gefährlich macht, ist paradoxerweise genau das, was ihn so nützlich machte: seine feinen Fasern. Werden diese durch Bearbeitung, Zerstörung oder Verwitterung freigesetzt und eingeatmet, können sie tief in die Lunge eindringen. Anders als organische Staubpartikel, die der Körper abbauen kann, sind Asbestfasern praktisch unzerstörbar für unsere körpereigenen Abwehrmechanismen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat klare Kriterien definiert, welche Fasern besonders gefährlich sind: Fasern mit einer Länge über 5 Mikrometer, einem Durchmesser unter 3 Mikrometer und einem Länge-zu-Breite-Verhältnis größer als 3:1 gelten als «lungengängig» – sie können die natürlichen Filterungssysteme unserer Atemwege umgehen.

Einmal in der Lunge, können diese Fasern verschiedene schwerwiegende Erkrankungen auslösen:

  • Asbestose: Eine fortschreitende Vernarbung (Fibrose) des Lungengewebes, die zu Atemnot und chronischer Erschöpfung führt. Sie ist dosisabhängig – je höher die Exposition, desto größer das Risiko.

  • Lungenkrebs: Asbestfasern können die DNA in Lungenzellen schädigen und zu Krebs führen. Bei Rauchern potenziert sich dieses Risiko dramatisch – bis zu 50-fach im Vergleich zu Nichtrauchern.

  • Mesotheliom: Ein seltener, aber äußerst aggressiver Tumor, der die Pleura (Lungenfell) oder das Peritoneum (Bauchfell) befällt. Besonders beunruhigend: Selbst kurze Expositionen können Jahrzehnte später zu Mesotheliomen führen. Es gibt keine sichere Schwellendosis.

  • Weitere Krebsarten: Neuere Forschungen haben auch Verbindungen zu Kehlkopf- und Eierstockkrebs bestätigt (IARC 2012).

Das Tückische: Die Latenzzeiten zwischen Exposition und Erkrankung sind extrem lang – typischerweise 20-40 Jahre, bei Mesotheliomen sogar bis zu 60 Jahre. Viele Menschen, die heute erkranken, wurden in den 1970er oder 1980er Jahren exponiert, als Asbest noch weit verbreitet war.

Der verborgene Bewohner alter Gebäude

Stellen Sie sich vor, Sie würden ein Röntgenbild alter Gebäude machen können, das alle Asbestmaterialien leuchtend hervorhebt. Sie wären vermutlich überrascht, wie viele Stellen rot aufleuchten würden. Asbest versteckt sich oft an Orten, an denen wir ihn nicht vermuten.

Typische Fundorte in Gebäuden

Im Außenbereich:

  • Dacheindeckungen: Die klassischen Welleternitplatten, die seit den 1930er bis in die 1990er Jahre verbaut wurden, enthalten typischerweise 10-15% Asbestfasern in einer Zementmatrix.
  • Fassadenverkleidungen: Eternit-Schieferplatten, oft in kleineren Formaten und grau, waren sehr populär für langlebige Fassaden.
  • Wasserleitungen: Asbestzementrohre wurden häufig für Regenfallrohre und Abwasserleitungen verwendet.

Im Innenbereich:

  • Bodenbeläge: Vinyl-Bodenbeläge der 1960er bis 1980er Jahre haben oft eine schwarze Asbestpappe als Trägersubstanz – ein verstecktes Risiko bei Renovierungen.
  • Fliesenkleber und Spachtelmassen: Besonders problematisch sind Produkte aus den 1960er und 1970er Jahren.
  • Elektroinstallationen: In alten Sicherungskästen finden sich häufig Asbestpappen als Isoliermaterial.

Heizungsanlagen:

  • Nachtspeicheröfen: Hinter den Verkleidungen der Geräte aus den 1950er bis 1980er Jahren verbergen sich oft asbesthaltige Dämmmaterialien.
  • Rohrummantelungen: Isolierungen von Heizungsrohren in Kellerräumen enthalten häufig Asbest.
  • Dichtungen: Asbestschnüre wurden häufig als Dichtungsmaterial in Öfen, Boilern und anderen Wärmegeräten verwendet.

Die Herausforderung: Mit bloßem Auge ist Asbest kaum zu erkennen. Asbestzementprodukte sind hart und klingen beim Klopfen zementartig. Asbestfreie Produkte, die nach dem Verbot hergestellt wurden, können jedoch ähnlich aussehen. Eine definitive Identifizierung erfordert oft eine Laboranalyse mittels Polarisationsmikroskopie oder REM-EDX (Rasterelektronenmikroskopie mit energiedispersiver Röntgenspektroskopie).

Wann besteht wirklich Gefahr?

In meiner Beratungspraxis höre ich oft die besorgte Frage: «Muss ich jetzt alles rausreißen?» Die einfache Antwort lautet: Nicht unbedingt. Die Wissenschaft lehrt uns einen differenzierten Umgang mit Asbestmaterialien.

Der Grundsatz lautet: Asbest in gutem Zustand kann oft belassen werden. Solange die Fasern fest gebunden sind, besteht kein unmittelbares Risiko. Es ist wie bei einem schlafenden Tiger – gefährlich nur, wenn man ihn stört.

Die Gefährdung hängt hauptsächlich von zwei Faktoren ab:

1. Bindungsart der Fasern

Fest gebundener Asbest (z.B. in Asbestzement) enthält etwa 10-15% Asbestfasern, die in einer harten Matrix aus Zement oder Vinyl fest eingeschlossen sind. Die Faserfreisetzung ist minimal, solange das Material intakt bleibt und nicht bearbeitet wird.

Schwach gebundener Asbest (z.B. Spritzasbest, Schnüre, Pappen) enthält höhere Anteile locker gebundener Fasern, die schon bei leichter Berührung oder Erschütterung freigesetzt werden können. Hier besteht in der Regel akuter Handlungsbedarf.

2. Zustand und Nutzung

Entscheidend ist auch der Erhaltungszustand des Materials:

  • Intakte Oberflächen ohne Beschädigungen stellen ein geringes Risiko dar.
  • Verwitterte, brüchige oder beschädigte Materialien können kontinuierlich Fasern freisetzen und sollten fachgerecht saniert werden.

Die Nutzungsintensität spielt ebenfalls eine Rolle: Ein asbestbelasteter Dachboden, der selten betreten wird, ist weniger problematisch als ein ähnlich belasteter Wohnraum.

Messung der Faserfreisetzung

Um die tatsächliche Belastung zu ermitteln, können Fachfirmen Luftmessungen durchführen. Mittels Rasterelektronenmikroskopie werden Fasern in der Luft gezählt. Im DACH-Raum gelten folgende Richtwerte:

  • Deutschland: Grenzwert 10.000 Fasern/m³
  • Österreich: strengerer Grenzwert von 5.000 Fasern/m³
  • Schweiz: Grenzwert 10.000 Fasern/m³

Liegen die Messwerte im Ruhezustand über 1.000 Fasern/m³, deutet dies auf eine problematische Situation hin, die weitere Untersuchungen oder Maßnahmen erfordert.

Die Kunst der fachgerechten Sanierung

Wenn Asbest entfernt werden muss, gleicht dies einer chirurgischen Operation – Präzision, Fachwissen und die richtigen Werkzeuge sind entscheidend. Eine unsachgemäße Sanierung kann die Situation drastisch verschlimmern, indem sie Millionen von Fasern freisetzt, die sich im ganzen Gebäude verteilen.

Schritt 1: Vorbereitung und Planung

Bevor auch nur ein Stück Asbest berührt wird, muss ein detaillierter Sanierungsplan erstellt werden. In Deutschland regelt die TRGS 519 (Technische Regeln für Gefahrstoffe), in Österreich die Asbest-Verordnung und in der Schweiz die EKAS-Richtlinie 6503 die Vorgehensweise.

Bei Innenarbeiten wird der Arbeitsbereich vollständig abgeschottet – Kunststofffolien versiegeln Wände, Böden und Decken. Personenschleusen mit Reinigungsbereich und Unterdruck durch Luftfilter (sogenannter «Schwarzbereich») verhindern, dass kontaminierte Luft entweicht.

Schritt 2: Ausrüstung und Schutz

Die Sanierungsexperten rüsten sich wie für einen Einsatz mit biologischen Gefahrstoffen:

  • Spezielle Einwegoveralls
  • P3-Atemschutzmasken oder Gebläsefilterhelme
  • Handschuhe und Schutzschuhe

Während der Arbeiten dürfen keine anderen Gewerke vor Ort sein, um Kontaminationsrisiken zu vermeiden.

Schritt 3: Moderne Sanierungstechniken

Die Technologie der Asbestsanierung hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich weiterentwickelt:

  • Mikroverkapselung: Vor dem Ausbau werden spezielle Bindemittel aufgesprüht, die Fasern fixieren und die Freisetzung reduzieren.
  • Glovebag-Verfahren: Für kleinere Arbeiten werden lokale Einhausungen verwendet – ähnlich wie Handschuhboxen in Laboren.
  • Hochleistungs-Absaugtechnik: Spezielle Industriesauger mit HEPA-Filtern (Klasse H) fangen freigesetzte Fasern sofort auf.
  • Nassfräsverfahren: Bei Fliesenklebern wird durch Wasserzugabe die Staubentwicklung minimiert.

Das oberste Prinzip: Möglichst zerstörungsfrei arbeiten. Asbestzementplatten werden beispielsweise vorsichtig abgeschraubt statt zerschlagen, um die Faserfreisetzung zu minimieren.

Schritt 4: Gründliche Reinigung

Nach dem Ausbau beginnt die entscheidende Phase der Feinreinigung:

  • Alle Oberflächen werden mit speziellen Industriestaubsaugern abgesaugt
  • Anschließend erfolgt eine feuchte Reinigung aller Flächen
  • Nach vollständiger Trocknung wird eine Luftmessung (Freimessung) durchgeführt

Der Bereich wird erst dann freigegeben, wenn die Faserkonzentration unter dem geforderten Grenzwert liegt – typischerweise unter 500 Fasern/m³.

Schritt 5: Fachgerechte Entsorgung

Asbestabfälle werden in speziellen, gekennzeichneten Behältern oder luftdichten Folien (Big Bags) verpackt. Der Transport erfolgt ausschließlich zu Deponien mit Sondergenehmigung für Asbestabfälle. Diese gefährlichen Abfälle werden meist unter einer Erddeckung endgelagert – ein Zeugnis ihrer Langlebigkeit und Beständigkeit.

Was kostet es, Asbest loszuwerden?

Die Kosten einer Asbestsanierung variieren erheblich je nach Material, Menge und Zugänglichkeit. Als Orientierung können folgende Richtwerte dienen:

  • Asbestzement-Dach: Für die fachgerechte Demontage und Entsorgung sollten 20-30 € pro Quadratmeter veranschlagt werden.
  • Spritzasbest: Aufgrund des hohen Aufwands sehr teuer – zwischen 200-300 € pro Quadratmeter.
  • Kleinmengen: Für kleinere Arbeiten, wie die Entfernung von 10 m² asbesthaltigen Bodenfliesen, fällt oft eine Mindestpauschale von mehreren tausend Euro an, da der Aufwand für die Einrichtung einer Schleuse und aller Schutzmaßnahmen unabhängig von der Menge hoch ist.

In manchen Regionen gibt es Förderprogramme für Asbestsanierungen im Rahmen der Umweltförderung. Die Konditionen variieren je nach Bundesland und ändern sich regelmäßig – ein Fachbetrieb oder Baumeister kann hier aktuelle Informationen liefern.

Fallstudie: Wenn Theorie auf Praxis trifft

Die Komplexität einer professionellen Asbestsanierung wird am besten durch ein konkretes Beispiel deutlich:

In einer Schulturnsaalhalle aus den 1970er Jahren wurden bei einer Routineinspektion brüchige Spritzasbestbeschichtungen an den Stahlträgern entdeckt. Die Messungen ergaben alarmierend hohe Werte von über 10.000 Fasern/m³ in der Raumluft.

Ein Spezialistenteam kapselte die gesamte Turnhalle hermetisch ab und erzeugte einen konstanten Unterdruck von -20 Pascal, um sicherzustellen, dass keine kontaminierte Luft nach außen dringen konnte. Die Arbeiter, geschützt durch Vollschutzanzüge mit Frischluftzufuhr, verwendeten spezielle Absaugvorrichtungen, die direkt an der Quelle ansetzten, während sie den Spritzasbest Stück für Stück entfernten.

Nach fünf Tagen intensiver Arbeit und zwei weiteren Tagen Feinreinigung ergab die abschließende Luftmessung Werte unter 100 Fasern/m³ – ein beeindruckendes Ergebnis, das die Wirksamkeit moderner Sanierungstechniken unter Beweis stellt. Die Stahlträger wurden anschließend mit einem asbestfreien Dämmstoff neu beschichtet.

Handlungsempfehlungen für Gebäudebesitzer

Als Hausbesitzer oder Verantwortlicher für ein Gebäude sind Sie nicht machtlos gegenüber der Asbestproblematik. Hier einige evidenzbasierte Empfehlungen:

1. Verdacht prüfen lassen

Bei Unsicherheit ist eine Materialanalyse der erste Schritt. Für etwa 50 € pro Probe kann ein spezialisiertes Labor eine definitive Auskunft geben. Achten Sie darauf, dass die Probenahme fachgerecht erfolgt – selbst dabei können bereits Fasern freigesetzt werden.

2. Ruhe bewahren

Die Entdeckung von Asbest in Ihrem Gebäude ist kein Grund zur Panik. Wie die US-amerikanische Consumer Product Safety Commission (CPSC) betont: «Der beste Umgang mit fest gebundenem Asbest in gutem Zustand ist, ihn unbeschädigt in Ruhe zu lassen.»

3. Keine Eigenbearbeitung

Dieser Punkt kann nicht oft genug betont werden: Versuchen Sie niemals, asbesthaltige Materialien selbst zu bearbeiten oder zu entfernen. Selbst das Bohren eines kleinen Loches in eine asbesthaltige Fliese kann über 100.000 Fasern freisetzen – ausreichend, um ein erhebliches Gesundheitsrisiko darzustellen.

4. Fachfirmen sorgfältig auswählen

Wählen Sie nur zertifizierte Asbestsanierer mit nachgewiesener Erfahrung. In Deutschland müssen diese eine Schulung nach TRGS 519 absolviert haben, in Österreich und der Schweiz gelten ähnliche Anforderungen. Lassen Sie sich Referenzen zeigen und scheuen Sie sich nicht, frühere Kunden zu kontaktieren.

5. Dokumentation sichern

Nach einer Sanierung sollten Sie umfassende Dokumentation erhalten:

  • Freigabemessungsergebnisse
  • Entsorgungsnachweise
  • Vollständiges Sanierungsprotokoll

Bewahren Sie diese Dokumente sorgfältig auf – sie sind bei einem späteren Verkauf der Immobilie von unschätzbarem Wert.

Das Fazit: Respekt statt Panik

Asbest ist ohne Zweifel ein gefährliches Material, aber mit dem richtigen Wissen und der richtigen Herangehensweise ist es beherrschbar. Der Schlüssel liegt im respektvollen Umgang mit diesem problematischen Erbe vergangener Bauzeiten – ohne in Panik zu verfallen, aber auch ohne die Risiken zu verharmlosen.

Die Wissenschaft hat uns klare Handlungsanleitungen gegeben: Intakte asbesthaltige Materialien belassen, beschädigte oder schwach gebundene Materialien fachgerecht sanieren lassen und vor allem: Keine Experimente auf eigene Faust.

Mit diesem Wissen können Sie fundierte Entscheidungen treffen und dafür sorgen, dass Ihr Gebäude nicht nur wohnlich und energieeffizient, sondern auch gesundheitlich unbedenklich ist.


Hinweis: Dieser Artikel ersetzt keine professionelle Beratung. Bei konkretem Asbestverdacht konsultieren Sie bitte einen zertifizierten Sachverständigen für Schadstoffe im Bauwesen.